Leserbrief in FF

[hons]

Lied der Einfallslosigkeit

Essay der Historiker Martha Verdorfer und Christoph von Hartungen in ff 26/04 über die Maturathemen an Südtirols Schulen
Mag sein, dass die ewige Südtirolerei beim geschichtlichen Thema zur Abschlussprüfung langsam fade wird und schon etwas provinzialistisch ist und weltweite aktuelle Themen vernachlässigt É obwohl das heurige Thema eine europäische Dimension anbot: Den Vorwurf der "Quadratur des Kreises" bei der Themengebung find ich allerdings einen Fehlgriff, wie so manches in dem Essay nur Polemik ist und wenig Konstruktives enthält. Ganz abgesehen davon, dass Kreis und Quadrat mit ein bisschen Mühe (Dialektik) einander angenähert werden können. In meiner Klasse haben 5 von 14 Schülern das geschichtliche Thema gewählt (bestimmt nicht, weil ich "so ein guter Lehrer" bin) und sie haben es mit Bravour abgehandelt. Ich habe von "Bequemlichkeit" und "gesundem Überdruss" nichts gespürt. Vielleicht sollte man die Schüler mit Tirol-Themen nicht unterm Jahr zu sehr strapazieren, dann werden sie auch nicht überdrüssig. Sind die Essay-Autoren der Tirolthematik vielleicht bereits überdrüssig??? Man hat fast den Eindruck. Und von einem "Betrug der Schulverantwortlichen" wegen des Tirolbezuges des geschichtlichen Themas zu sprechen, ist allzu billige Polemik. Die Schüler haben ihre ganze Schulkarriere entlang und auch noch in der Abschlussprüfung (schriftlich wie mündlich) Gelegenheit genug, "ihr gesamtes historisches Wissen und Können unter Beweis zu stellen". Und wer wird denn bloß nur so prüfungsorientiert denken. Entscheidend ist, dass die Absolventen ihre geschichtliche Bildung im Leben umsetzen können. Non scholae sed vitae!!! Lassen Sie doch Ihre Schüler unterm Jahr über die Zwiespältigkeit des verflossenen Jahrhunderts schreiben. Bald werden sie des Themas überdrüssig werden. Und ob die Bildungsplaner jenseits des Brenners von unserer Provinzialität lesen: Das ist mir ziemlich schnuppe im Bewusstsein, dass die Südtiroler Schule bei allen Defiziten zumindest gleichrangig ist. Da wird mir nicht bange. Ein Pisa-Ergebnis wie dort muss man uns erst einmal beweisen. Naja, die neue Evaluationsbehörde wirds schon richten!

Josef Holzer,Lehrer für Geschichte und Philosophie, Bruneck